Aktuelles

Haare bleiben trotz Chemotherapie

25. Juli 2015 - Dr. Uwe Schwichtenberg

Etwa 71.000 Frauen erkranken in Deutschland jedes Jahr neu an Brustkrebs. Viele von ihnen müssen sich einer Chemotherapie mit belastenden Nebenwirkungen unterziehen. Als eine schlimme Begleiterscheinung empfinden die meisten den Verlust der Haare. Die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) erprobt seit einem Jahr das Behandlungskonzept "DigniLife", mit dem der Haarausfall deutlich vermindert werden kann. Es beruht auf der sensorgesteuerten Kühlung der Kopfhaut während der intravenösen Verabreichung der Chemotherapie. "Wir haben damit bisher 19 Patientinnen therapiebegleitend behandelt und sehr gute Ergebnisse erzielt. Die meisten Frauen waren damit sehr zufrieden", sagt Professorin Dr. Tjoung-Won Park-Simon, stellvertretende Klinikdirektorin und Bereichsleiterin Gynäkologische Onkologie. Die Erfahrungen an der MHH-Frauenklinik bestätigen die Studien des Herstellers. Die MHH ist die einzige medizinische Einrichtung in Niedersachsen, an der die Kopfhautkühlung angeboten wird.

Haare stehen nicht nur für Schönheit

Die Haare sind für viele Frauen Ausdruck von Weiblichkeit. Während einer Chemotherapie, die ohnehin die Lebensqualität erheblich vermindert, kommt den Haaren eine über die Schönheit hinausgehende Bedeutung zu. "Den Haarausfall erleben die betroffenen Frauen oft als Stigmatisierung", erklärt Dr. Sophia Holthausen-Markou, Oberärztin an der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie. Die Gynäkologin unterstützt die Brustkrebspatientinnen in allen Behandlungsphasen psychotherapeutisch, psychosomatisch und psychoonkologisch. Ohne Haare wird die Erkrankung für das gesamte soziale Umfeld offensichtlich. "Die Betroffenen können nicht mehr darüber entscheiden, wer von der Krankheit erfahren soll und wer nicht. Das ist ein erheblicher Verlust an Selbstbestimmung. Ohne Haare zu leben, lässt sich darüber hinaus nur schwer ins ohnehin veränderte Körperbild integrieren", sagt Dr. Holthausen-Markou.

Kälte schützt die Haarwurzeln

Wenn die Haare erhalten bleiben können, ist das ein großer Gewinn für die Patientinnen. Das Prinzip der Kopfhautkühlung zur Vorbeugung des Haarverlusts ist nicht neu. Bereits in den siebziger Jahren gab es dazu erste Schritte. An der MHH-Frauenklinik wurden Hauben zur Kühlung der Kopfhaut auch in den neunziger Jahren schon einmal eingesetzt - ohne den gewünschten Erfolg. Gute Ergebnisse erzielen Ärzte und Pflegekräfte nun mit der neuen Gerätegeneration und dem "DigniLife"-Konzept der Firma Sysmex. Das Gerät in der MHH wurde von der privaten Stiftung Roparun gespendet. Wesentlicher Bestandteil ist eine Silikonkappe, die die Patientin während der intravenösen Verabreichung der Chemotherapie trägt. Mithilfe dieser Kappe wird die Kopfhaut sensorgesteuert gleichmäßig, konstant und flächendeckend auf drei bis fünf Grad Celsius gekühlt. "Durch die Kälte verengen sich die örtlichen Blutgefäße und der Stoffwechsel wird heruntergefahren", erläutert Professorin Park-Simon. "Dadurch wird das Medikament lokal nicht so gut aufgenommen und kann auch nicht in vollem Umfang wirken. So werden die Haarwurzeln geschont." Ganz verhindert werden kann der Haarverlust nicht, aber es fallen deutlich weniger Haare aus. Mehr als die Hälfte der Patientinnen, die sich für die Kopfhautkühlung entscheiden, können auf eine Ersatzkopfbedeckung wie Perücke, Kopftuch oder Hut verzichten. "Besonders gut ist der Erfolg bei unserer am häufigsten angewendeten Standardtherapie bei Brustkrebs", stellt Professorin Park-Simon fest.

Gewinn an Lebensqualität

So war es auch bei Sabine G. Bei der 48-jährigen Hannoveranerin wurde im September 2014 Brustkrebs festgestellt. "Die Diagnose ist ein großer Schock und die psychische Belastung während der Krankheit enorm", sagt sie. Als sie von der Möglichkeit hörte, während der Chemotherapie die Haare zu behalten, wollte sie das Angebot der Kopfhautkühlung unbedingt wahrnehmen. "Bei mir hat das Verfahren gut funktioniert. Mein Haar wurde zwar dünner, aber ich habe nie einen Hut oder ein Kopftuch gebraucht", erinnert sie sich. "Für mich war es ein großer Gewinn an Lebensqualität, nicht für alle sichtbar mit der Krebserkrankung herumlaufen zu müssen. Der Haarerhalt war für mich auch ein Erhalt meiner Würde." Die Haare waren für Sabine G. in der Situation ein Stück normales Leben. "Dieses Stück Normalität trägt auch zur Genesung bei", ist sie überzeugt.

Keine Kassenleistung

Eine Chemotherapie bei Brustkrebs dauert durchschnittlich ein halbes Jahr. Die an der MHH am häufigsten durchgeführte Therapie bei Brustkrebs umfasst 16 Infusionen mit Zytostatika. Die Kopfhautkühlung während der intravenösen Verabreichung kostet pro Anwendung 85 Euro und wird nicht von den Krankenkassen erstattet. Trotzdem ist das Interesse an der Kopfhautkühlung groß. 60 bis 70 Prozent der betroffenen Frauen möchten das Angebot wahrnehmen. Das Gerät, an dem jeweils zwei Patientinnen gleichzeitig behandelt werden können, ist fast ausgelastet. Die Anwendung ist gut verträglich. "Insgesamt wird das Verfahren sehr gut toleriert", sagt Dipl.-Sozialpädagogin Brigitte Rode, die die Patientinnen psychoonkologisch betreut. Die Kühlung der Kopfhaut beginnt bereits eine halbe Stunde vor der Infusion und wird noch etwa eine Stunde danach aufrechterhalten. "Einige Frauen klagen zu Beginn der Anwendung über Kopfschmerzen, doch die meisten sind davon überrascht, wie gut sie die Kälte aushalten", erklärt Brigitte Rode. So erging es auch Sabine G. "Es gab einen kurzen Moment, in dem ich dachte, jetzt wird es gleich unangenehm. Aber dann stieg die Temperatur um einen halben Grad und es war wieder gut zu ertragen." Sie ist froh darüber, dass es die Möglichkeit, die Haare zu behalten für sie gab. "Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Frauen diese Chance haben und das Gerät ausprobieren können."

Weitere Informationen erhalten Sie bei Professorin Dr. Tjoung-Won Park-Simon, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Telefon (0511) 532-9545, park-simon.tjoung-won@mh-hannover.de und bei Brigitte Rode, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Telefon (0511) 532-6038, rode.brigitte@mh-hannover.de.

Quelle: Pressemeldung Medizinische Hochschule Hannover

Weitere News-Beiträge

2015
10. Dezember 2015
Neurodermitis-Gene beeinflussen auch andere Allergien → mehr
7. November 2015
Neue Infobroschüre zur Alopecia areata → mehr
24. September 2015
TV Tipp: Mit Neurodermitis Leben → mehr
7. September 2015
Lungenembolie - erste Anzeichen ernst nehmen → mehr
7. August 2015
Pollenflug beeinflusst Neurodermitis → mehr
25. Juni 2015
Wissenslücken beim Thema Sonnenschutz → mehr
7. Juni 2015
"Flucht in die Berge" → mehr
6. Mai 2015
Allergiesaison 2015 - Informationen zum Pollenflug → mehr
10. April 2015
Deutscher Venentag am 25. April → mehr
10. März 2015
Anerkennung von Hautkrebs als Berufskrankheit verbessert die Patientenversorgung → mehr
10. Februar 2015
Pflegebedürftigkeit der Haut im Alter → mehr
10. Januar 2015
Bekommen übergewichtige Personen eher graue Haare? → mehr
Archiv
2024 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2024 anzeigen
2023 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2023 anzeigen
2022 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2022 anzeigen
2021 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2021 anzeigen
2020 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2020 anzeigen
2019 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2019 anzeigen
2018 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2018 anzeigen
2017 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2017 anzeigen
2016 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2016 anzeigen
2014 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2014 anzeigen
2013 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2013 anzeigen
2012 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2012 anzeigen
2011 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2011 anzeigen
2010 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2010 anzeigen
2009 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2009 anzeigen
2008 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2008 anzeigen
2007 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2007 anzeigen
2006 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2006 anzeigen
2005 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2005 anzeigen
2004 Headlines der News-Beiträge des Jahres 2004 anzeigen